Ehrlichkeit ist ein alter Wert, dessen definitorische Grenzen wir alltäglich zu erweitern versuchen. Ist das Weglassen von Tatsachen bereits Lügen? Wie sieht es mit anderen rhetorischen Kniffen aus? Umdeutung, Verharmlosung, politisch korrektes Formulieren von unbequemen Wahrheiten?
Transparenz ist ein neuer Wert, der nüchtern ist und per se keine Verbesserung bedeuten muss, aber der die Möglichkeit zur Vieldeutung und damit Objektivität bereithält. Diese eindeutige Definition des neuen Wertes ist seine größte Chance, nicht umgedeutet und weniger stark missbraucht zu werden.
Dass er heute in aller Munde ist (wenn auch nicht immer identisch gemeint und auch nicht immer gelebt wird) ist auch die Dokumentation der Nuancenverschiebung vom Autoritätsdenken (der Sprecher ist für die Wahrheit verantwortlich) zur Eigenverantwortung (die eigene Interpretation der Fakten und die Gewichtung anderer Deutungen sind bedeutend) sowie von der Einbahnstraßenkommunikation (Redner-Zuhörer) zur Interkommunikation (Redner/Zuhörer – Zuhörer/Kommentator).
Letzteres ist eigentlich eine Rückgewinnung einer verloren gegangenen Streitkultur, dem Diskurs oder der Debatte – mit „ergebnisoffenem“ Ausgang, wie man heute noch häufig hinzufügt, weil es offenbar noch immer die Ausnahme darstellt. Aktuell herrscht eine Streitform vor, die Diskutanten und Moderator(en) zusammenbringt, wobei der Moderator keine Diskussion leitet und Aufmerksamkeit auf sich ergebende gemeinsame Perspektiven lenkt, was laut Wortursprung (das lateinische moderare bedeutet „mäßigen“, „steuern“, „lenken“) seine Aufgabe wäre.
Im besten Fall versucht der Moderator heute, „durch das Thema“ zu leiten und einen vorgefertigten Fahrplan einzuhalten. Im schlimmsten Fall arbeitet er die Unterschiede der Standpunkte heraus und verhindert so jegliche Art der Verständigung. So verkommt die „Diskussion“ zu einer mehr oder weniger gleich gewichteten Aufreihung von Thesen gemäß eines im Vorfeld ausgearbeiteten dramaturgischen Bogen.