Mein Bild vom Rechtsstaat bröckelt

Freunde,

ich stehe noch immer unter dem Eindruck des Blockupy-Samstags. Was ich dort miterleben musste, hat mein Vertrauen in unsere Demokratie und meinen Glauben an unsere verfassungsrechtlichen Freiheiten erschüttert.

Wenn ich an den langen Tag und das brodelnde Gemisch an Gefühlen zurückdenke, wenn ich mir die Stimmung zwischen Nervenspannung und Party vergegenwärtige und die Bilder von Polizistenhorden in ihrer Kampfmontur neben barfuß tanzenden Kindern aufsteigen lasse, dann fühle ich Ohnmacht und Verzweiflung – und ich bekomme wieder weiche Knie. Denn die Grundwerte unserer Gesellschaft haben von einer Minute auf die andere keine Bedeutung mehr gehabt.

Es war eine vom Staat herbeigeführte Ausnahmesituation, die sich über den ganzen Tag zog und in der alles hätte passieren können.

Aber es ist offensichtlich nicht das passiert, was politischer Wille war: weder haben wir unsere Demonstration auf diese brutale Art und Weise aufspalten lassen, noch haben wir uns dazu provozieren lassen, der Politik ihre Schreckensszenarien von gewalttätigen Randalierern zu bestätigen – und das, obwohl hunderte von uns bis zu 10 Stunden lang im Kessel festgehalten worden sind, ihnen Wasser und medizinische Betreuung verwehrt wurde, auf sie eingeschlagen und mit Pfefferspray aus nächster Nähe Haut und Augen verätzt wurden. Sie machten selbst vor Kindern und Rentnern nicht Halt.

All das wird jetzt aufgearbeitet. Wir waren gut organisiert mit Demonstrationsbeobachtern des Grundrechtekomitees, die alles haarklein protokolliert haben, mit einem Ermittlungsausschuss, der nun die Fakten sammelt und zusammenfügt, mit Handykameras und vielen Einzelberichten von Augenzeugen – inklusive Journalisten, die am und im Geschehen waren, Juristen und Parlamentarier, die ebenfalls eingekesselt worden sind.

Aber meine bange Frage ist: wie weit sind wir noch davon entfernt bis wir unsere Rechte nicht nur nicht mehr ausleben, sondern noch nicht einmal mehr juristisch einfordern können. Nachdem die Polizei unseren Demonstationszug gestürmt hat, hat das Amtsgericht beim Anruf um ein Eilverfahren seine Zuständigkeit abgelehnt, weil sie der Polizei Glauben schenkte, die beteuerte, es gäbe keine Kesselung. So hat die Polizei laut Ermittlungsausschuss Frankfurt die folgenden 12 Stunden im rechtsfreien Raum agiert.

Ich bin tief getroffen von dem absolut unverhältnismäßigen und gewaltvollen Einsatz der Polizei. Und ich bin beunruhigt von der offensichtlich werdenden politischen Dimension der skandalösen Beschneidung unserer Rechte.

Die ersten analytischen Artikel, wie der Leitartikel der Frankfurter Rundschau und die Berichte der F.A.Z. erheben schwere Vorwürfe gegen die politische Führung in Hessen und zeigen die Zusammenhänge zur repressiven Krisenpolitik auf, gegen die wir ja eigentlich protestieren wollten, wenn man uns nicht nach einer halben Stunde gestoppt hätte.

Jetzt geht es – wie nach der Verbotsorgie im vergangenen Jahr – wieder einmal nicht um die Inhalte des Blockupy-Bündnisses. Aber immerhin ist durch die Demaskierung der Institutionen, die für Recht und Ordnung sorgen sollen, deutlich geworden, dass es wichtig ist, wieder auf die Straße zu gehen. Denn die Voraussetzung für das Brechtsche Motto „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht!“ ist spätestens jetzt erfüllt!

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