Koffein

Ich schütte den Kaffee in mich rein. Tasse um Tasse um… um endlich klar denken zu können. Irgendwann muss sich doch eine Euphorie einstellen. Irgendwann muss ich doch wieder Luft bekommen. Der ganze Nebel atmet sich so schlecht. Meine Lungen fühlen sich feucht an, mein Atem rasselt, meine Nase ist dicht. Ich weiß nicht mehr, wo es lang geht und vergesse, dass der Zug von selbst fährt, dass er den Weg kennt. Zumindest die Teilstrecke, die ich diesmal hinter mich bringe. Wohin führt mich dieses verdammte Schienennetz? Und ist es weit genug ausgebaut, um ein Ziel erreichen zu können? Wird es eine erwartete Ankunft werden, oder steige ich wieder nur auf einen Bahnsteig, auf dem ich der Einzige bin? Wird mich nach dem Ruckeln und Schaukeln der feste Beton unter den Füßen, wird mich die Stille nachdem der Zug außer Hörweite ist, wird mich diese gnadenlose Realität, die einem eigene Entscheidungen abringt, wieder niederstrecken?

Ich habe Lust, an Bord zu bleiben, meinetwegen im Kreis zu fahren oder auch in einem Bahnhof zu übernachten, denn ich weiß ja: der Zug wird wieder fahren. Doch was ist, wenn ich aussteige? Dann bin ich auf mich gestellt. Und wer bin ich denn? Wer bin ich anderes als der, der davon läuft, davon fährt vor allem, weil sich alles gegen mich gestellt hat? Und wo finde ich etwas, das mir zugewandt ist, das mich offen und herzlich empfängt, das einfach nur da steht und nicht weicht, wenn ich näher komme? Gibt es noch etwas heute, das mich liebt. Heute, nachdem meine Geschichte Teil dieser Welt geworden ist?

Ich denke es nicht, aber ich kann meinem Leben auch nicht feige ein Ende setzen. Überhaupt: die Angst vor Feigheit ist doch das einzige, was mich noch treibt. Diese Flucht ist mir wichtig. Sie ist es, die mir zumindest einen Sinn-Ersatz gibt bis ich wieder klar denken kann.

Ah, da kommt die nächste Tasse. Ich nicke dem Kellner nur und deute auf die Münzen, die ich schon aus lauter Ungeduld vor einer ewigen Minute auf die Theke gelegt hatte. Der Kaffee ist heiß, brühend heiß, aber meine Kehle bedeutet mir im Moment nicht viel und so schütte ich die tief-dunkle Masse in mich hinein als könnte sie einen Durst löschen, als wäre es der erste Schluck nach einer Odyssee durch eine Wüste. Und ich fühle mich wirklich wie auf einem Marsch, verfolgt von Träumen, die mit einem einzigen Fluch belegt sind. Dem, nicht vergessen zu können.

Am Ende

Die stumme Männerseele vom Regen durchtränken. Die Straße mit den Schuhen wetzen, die Luft durch Atmen bearbeiten, kraftlos walgen, durch die Lungen spülen, wieder auskotzen. Sich an rostige Zäune lehnen, einen Fuß heben, die Sohle betrachten und die vergangene Zeit wahrnehmen, den Blick auf den Verlust, Schleifspuren und zu dünnes Schuhwerk richten, den Lichteinfall als gerade ausreichend erachten, weitergehen wollen.

Aber der Zaun lässt einen nicht los. Das Wiegen daran ist zu schön.

Vertrauen in den Zaun spüren. Die Maschen dehnen sich wie aufgerissene Arme, auf die man zugehen kann. Vielleicht mit Tränen der Rührung, vielleicht mit Erleichterung, vielleicht mit Widerwillen vor der eigenen Sichtbarkeit, vielleicht voll Zargheit. Aber je näher die Arme kommen desto mehr fällt die Angst. Vielleicht versuchen? Vielleicht ist es nicht schmerzhaft. Am Ende vielleicht nicht. Und es dann doch nicht versuchen. Am Ende nicht versuchen. Und jetzt am Zaun stehen und warten, dass er einen wieder gehen lässt. Die Sohlen betrachten im Schimmerlicht der Niedervolt-Laterne. Das Orange beruhigt die Trauer und weckt den Blick. Es wirkt wie die frische Brise die durch die Straße geht, an mir vorbei. Und an meinem Mantel zieht.

Nachtverratimpression

Durch Dunkel gehetzt,
verlassen worden.
Gelassen geworden.
Stumme Gelassenheit,
schweißgenässte Gelassenheit.
Unehrliche Gelassenheit.

Auf trockenem Asphalt
aufplatzende reife Frucht.
Schamerfüllt, gesehen
und gesehen worden.
Fürchtend, flüchtend.

Dämmerung in falsche Richtung.
Wachsamkeit, wachen. Erwachen.
Das Dunkel abstreifen und die
Hoffnung auf den nahenden Tag nicht verlieren.
Bloß nicht verlieren.
Er ist neu und du bist da.
Bloß nicht denken, nicht zurückerinnern.
Nicht zurücklaufen, nicht die Gassen denken.
Nicht die Wege zurückverfolgen.
Nicht die Verfolger verfolgen
in Gedanken.

Das Gedankennetz durchtrennen
mittels Gewalt am eigenen Leib
bis er die Ruhe gibt, sich selbst
ruhen zu lassen. In Ruhe ruhen.
Dem Leib seine Ruhe gönnen,
seinen letzten Gedanken folgen.

Letzte Gedanken sind wie
Nebelfäden, zäh und transparent
und unendlich leicht. Keine schwere
Farbe trübt diesen letzten Gedanken,
kein heftiges Bild, keine klaren Kontraste.

Bis dass der Tod Euch scheidet aus der Welt.
Aus dem Dunkel in das dunkle Nichts.